F. Streun: Rückkehr ohne Wiederkehr

Cover
Titel
Rückkehr ohne Wiederkehr.


Autor(en)
Streun, Franzsika
Erschienen
Oberhofen 2012: Zytglogge Verlag
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Silvia Hubschmid

Der Berner Rodolfo von Wattenwyl schreibt 1873 aus Argentinien: «Ich glaube allerdings nicht, dass ich in der Schweiz leben könnte. Denn ich bin nicht mehr genügend zivilisiert und liebe unser wildes Leben hier sehr.» (S. 237). Der Auswanderer sendet von 1866 bis 1876 Briefe an seine Familie in Bern. Auf ihnen basiert Rückkehr ohne Wiederkehr, der Thuner Journalistin und Redaktorin Franziska Streun. Die Autorin ergänzt die Original-Briefe mit fiktiven Tagebuch-Einträgen und einer Rahmengeschichte. Durch die Augen des gebildeten und aus guter Familie stammenden von Wattenwyl erhalten die Leser einen Einblick ins Leben europäischer Einwanderer in Argentinien. Neben seiner Arbeit in der Landwirtschaft kämpft der junge Berner als Friedensrichter gegen Lynchjustiz und schützt mit seiner Schutztruppe die Nachbarschaft vor Viehdieben.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreicht die Einwanderung nach Argentinien ihren Höhepunkt. Mit der Erschliessung durch die Eisenbahn entstehen in der Wildnis zahlreiche Siedlungen. Es sind «unzivilisierte» Gemeinschaften, in denen eine Rechtsordnung verankert, eine Kirche gegründet und eine medizinische Versorgung geschaffen werden muss. Widrige Umstände, wie Dürren, Indianer-Angriffe, Land-Spekulationen sowie Gewalt und Alkoholismus unter den Siedlern, stehen diesen Bemühungen entgegen.

Mit Rückkehr ohne Wiederkehr – der Titel ist irreführend, geht es doch um den Argentinien-Aufenthalt und nicht um die Rückkehr in die Schweiz – macht Streun eine wertvolle alltagsgeschichtliche Quelle der europäischen Übersee-Auswanderung einem breiten Publikum zugänglich. In den letzten Jahren wurden verschiedentlich Briefwechsel von Schweizer Auswanderern veröffentlicht. Forschung und Belletristik widmeten sich besonders Auswandererbriefen aus den USA, wo die weitaus grösste Schweizer Kolonie in Übersee entstand. Die vorliegenden Briefe zeichnen sich durch das Zielland Argentinien aus, der zweitwichtigsten Überseedestination von Schweizern ab Ende der 1850er-Jahre. Betreffend Argentinien wurde in den letzten Jahren die Auswanderung verarmter Walliser Bauern aufgearbeitet. Mit seinem sozialen Hintergrund gehört von Wattenwyl zu einem anderen, für Argentinien in dieser Zeit unüblichen Auswanderer-Typ. Seine Briefe sind deshalb von besonderem Interesse: Neben den Beschreibungen seiner Arbeit und Einkünfte, die für Auswandererbriefe dieser Zeit üblich sind, macht er nämlich auch aufschlussreiche Beobachtungen über die Entstehung der neuen Einwanderer-Gemeinschaften, über die Sitten der Ureinwohner sowie die allgemeine politische und wirtschaftliche Lage.

Das fiktive Tagebuch erfüllt zwei Aspekte: Erstens zeigt es die Gefühlswelt von Wattenwyls auf, die in den Briefen an seine Familie teilweise nur zwischen den Zeilen zu lesen ist. Da die Briefe besonders zu Ende des zehnjährigen Aufenthalts spärlicher werden, füllen die Tagebuch-Einträge zudem Lücken im Erzählstrang, was der Autorin erlaubt, eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen. Ereignisse, die nur im Tagebuch erwähnt sind, wirken recherchiert und der Schreibstil ist dem Stil der Briefe nachempfunden. Die Tagebuch-Einträge scheinen im historischen Kontext somit grundsätzlich nachvollziehbar. Für die Glaubwürdigkeit des Buches ist entscheidend, dass durch unterschiedliche Schriftarten für Briefe, Tagebuch und Rahmengeschichte die Trennung zwischen Originalquelle und Fiktion während der Lektüre immer sichtbar ist.

Der Zweck der Rahmengeschichte – eine geheime Liebe von Wattenwyls liest Briefe und Tagebuch – wird bis zum Ende des Buches nicht ersichtlich. Zahlreiche gesellschaftliche Probleme wie Abtreibung, sexueller Missbrauch und Homosexualität werden darin aus moderner Perspektive angedeutet, bringen jedoch keinen Mehrwert für die Handlung. Gerade im Vergleich zu den detaillierten Schilderungen in den Briefen bleibt die Rahmengeschichte zudem äusserst monoton.

Die Leser von Rückkehr ohne Wiederkehr erwartet eine spannende alltagsgeschichtliche Quelle über den Umgang mit dem «wilden» und «unzivilisierten» Auswanderer-Leben in Argentinien. Durch die fiktiven Tagebuch-Einträge fügen sich die Auswandererbriefe in eine anregende Erzählung ein, die leider durch die monotone Rahmengeschichte etwas an Reiz verliert.

Zitierweise:
Silvia Hubschmid: Rezension zu: Streun, Franziska: Rückkehr ohne Wiederkehr. Roman. Oberhofen: Zytglogge Verlag 2012. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 75 Nr. 4, 2013, S. 86-88.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 75 Nr. 4, 2013, S. 86-88.

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